Im Rahmen des ver.di Seniorinnen und Senioren Programmes stand am 24. Oktober 2023 wieder ein Spaziergang der besonderen Art in Augsburg auf dem Programm. Der Weg „Augsburger Wege der Erinnerung“ führte uns ins bürgerlich und jüdische Leben der südlichen Augsburger Innenstadt. Treffpunkt und Start der Tour war das Augsburger Rathaus. Marion Magg-Schwarzbäcker begrüßte die Kolleginnen und Kollegen zur Fortsetzung und dem dritten Spaziergang der „Augsburger Wege der Erinnerung“.
Inge Kroll und Fritz Schwarzbäcker starteten die Tour im Unteren Fletz des Rathauses vor dem Gedenkraum bzw. der Gedenkstätte für die Augsburger Opfer des Holocaust. Erinnert wurde an die Machtübernahme der NSDAP am 9. März 1939. Trotz eines unterdurchschnittlichen Wahlergebnisses der NSDAP in Augsburg (Augsburg war eine Arbeiterstadt), vollzog sich der Machtwechsel ohne Gewalt in der Art eines „Verwaltungsvorganges“.
Inge Kroll und Fritz Schwarzbäcker erläuterten uns auf dem rund 2 ½ stündigen Weg, dass es bei „Augsburger Wege der Erinnerung“ um das Anliegen geht, an die Opfer des NS-Unrechtsregimes durch Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum zu erinnern. Erinnert werden soll an all die Menschen, die unabhängig von deren politischer, weltanschaulicher, religiöser und sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder Herkunft, Opfer der Nazi-Diktatur wurden.
Auf unserem Weg erinnerten Inge Kroll und Fritz Schwarzbäcker an die Menschen, die in Augsburg lebten. Die nationalsozialistische Ideologie und die Terrorherrschaft der Nazis machte sie zu Fremden und zu Feinden. Sie wurden ausgegrenzt, erniedrigt, verfolgt, verhaftet, gequält, deportiert und schließlich ermordet. Manche konnten sich gerade noch durch die Flucht retten. Andere leisteten Widerstand und bezahlten mit ihrem Leben.
Nachfolgend einige Orte mit Stolpersteinen und Plätze, wo NS-Opfer bis zuletzt aus freiem Entschluss wohnten.
Ludwig und Selma Friedmann, Martin-Luther-Platz 5
Ludwig (*1880) ist Anteilseigner der Firma „Friedmann und Dannenbaum“ (später Augsburger Wäschefabriken. Ihm gehört u. a. das „Münch’sche Palais“ am Martin-Luther-Platz. Selma (*1890) kommt aus einer weltweit führenden Firma im Hopfenhandel. Ludwig hat leitende Funktion in der IHK Augsburg. 1937 werden Immobilien und Firma zwangsverkauft und „arisiert“. Beide müssen 1942 in das sog. Judenhaus in der Bahnhofstraße 18 1/5 umsiedeln. Selma muss ab 1942 in der Augsburger Ballonfabrik Zwangsarbeit leisten, Ludwig als Schriftführer in der Jüdischen Gemeinde Listen für Zwangsarbeit und Deportationen erstellen. Am Tag vor der Deportation am 07.12.1943, wählen sie gemeinsam mit anderen Familien die Flucht in den Freitod.
Jenny Schnell, Martin-Luther-Platz 5
Jenny (*1878) ist zusammen mit ihrem Bruder Ludwig Friedmann, Anteilseigner der Firma „Friedmann und Dannenbaum“ (später Augsburger Wäschefabriken. Jenny flieht mit Sohn Alfred und Schwiegertochter Eva nach Holland. Sie lebt dort zunächst in einem Seniorenheim. Nach der Aufforderung zur Deportation gelingt Eva und Alfred die Flucht, doch beide werden gefasst und ermordet. Jenny stirbt 1943 im holländischen KZ Westerbork.
Josephine & Pauline Bollak, Bürgermeister-Fischer-Str. 11
Josephine (*1864) und Pauline (*1863) wuchsen in einer für die damaligen Zeit nicht seltenen Großfamilie auf. Insgesamt waren es neun Kinder. Die Eltern betrieben bereits in der Karolinenstraße eine koschere Gaststätte. 1927 erfolgte der Umzug in den dritten Stock des Königsbaues, welcher im Besitz der Gebrüder Landauer war, die im gleichen Haus ein großes Kaufhaus betrieben. Der fortan als Cafe betrieben Treffpunkt war sehr beliebt. In dieser Zeit erfolgte auch der Übertrag an die Geschwister Bollack. Trotz Boykottaufrufs ab 1933 blieb das Cafe offen, allerdings unter der Voraussetzung, dass nur jüdische Gäste Zutritt hatten. 1939 trat das Gesetz zur Aufhebung des Mieterschutzes für die jüdische Bevölkerung in Kraft und der neue Eigentümer Albert Golisch kündigte das Mietverhältnis was zur Schließung im Oktober 1939 führte und zum Verlust der Wohnung im gleichen Gebäude. Die Geschwister mussten ins sog. Judenhaus in der Hallstrasse 14 ziehen. Beide werden in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo Pauline 1942 und Josephine 1943 ermordet wurden.
Rudolf & Rosa Hirschmann, Katharinengasse 25
Rudolf (*1871) und Rosa (*1880) betrieben ab 1902 eine Metzgerei, die sie 1938 unter Wert an „Arier“ verkaufen müssen. Ihre berufliche Existenz wird vernichtet. Rudolf kommt über das KZ Dachau nach Hartheim und wird 1942 dort ermordet – seine Frau stirbt im Ghetto in Piaski/Lublin.
Das „Judenhaus“ (1939-1949) – Ghettohaus in der Hallstraße 14
Das Haus Hallstraße 14 hat von Ende 1938 bis Juni 1943, als sog. „Judenhaus“ gedient. Laut den Meldebögen haben während dieses Zeitraums 66 jüdische Menschen gelebt. Deportiert wurden 12 Personen nach Piaski, 16 nach Auschwitz, 13 nach Theresienstadt, eine nach Riga, bei sechs Ermordeten ist das Todeslager nicht bekannt. Bei einer Person blieb das weitere Schicksal ungeklärt. Nur 13 konnten ihr Leben durch Emigration retten. Zwei überlebten Theresienstadt, zwei in Mischehen verheiratete Frauen in Augsburg.
Charlotte Rappold, Konrad-Adenauer-Allee 25
Geboren 1865, protestantisch, heiratet im Juni 1891 den Fabrikanten Albert August Rappold. Sie bekommt fünf Kinder, wobei zwei bereits im Kindesalter versterben. Nach dem Tod ihres Mannes führt sie die Geschäfte ihres Mannes weiter. Charlotte ist fast 79 Jahre, als sie 1944 vom Städtischen Krankenhaus in Augsburg mit der Diagnose „senile Demenz“ in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren überwiesen wird. Dort stirbt sie, durch „Hungerkost“ und Übermedikamentierung geschwächt, im März 1945 an einer Gelbsucht.
Josef, Cilli, Margot und Trude Hermann - Völkstraße 33
Josef (geb. 1884) kommt 1919 nach Augsburg und heiratet 1920 Cilli (geb. 1894). Beide sind aktive Mitglieder der jüdischen Gemeinde und dort integriert. Margot (geb. 1921) und die Schwester Trude (geb. 1925) wachsen im Bismarckviertel auf und sind aktiv im jüdischen Sportverein PTGA tätig. Beide Kinder hätten mit einem Kindertransport nach England ausreisen können. Doch sie entscheiden sich zu bleiben, in der Hoffnung auf eine gemeinsame Ausreise mit den Eltern. Cilli und die Tochter Margot leisten ab 1941 Zwangsarbeit in der Augsburger Ballonfabrik, bevor sie 1942 mit der gesamten Familie nach Piaski deportiert werden. Dort verliert sich die Spur.
Dr. Julius und Paula Raff, Frohsinnstraße 21
Julius (*1868) Er studiert Medizin in München und bildet sich zum Facharzt für Dermatologie weiter. 1896 lässt er sich in Augsburg als Spezialist für Haut- und Geschlechtskrankheiten nieder. 1902 heiratet er die Fabrikantentochter Paula, mit der er drei Kinder hat. Im Ersten Weltkrieg arbeitet er als Sanitätsrat. Ab 1933 werden jüdische Einrichtungen und Praxen boykottiert. Auch die Freizeitbetätigungen z.B. Sport werden eingeschränkt. Im Ruhestand organisiert er „Inseln im braunen Meer“ – und gesellschaftliche Nachbarschaftshilfen für jüdische Familien. Beide ziehen im Oktober 37 ins Seniorenheim der israelitischen Kultusgemeinde in der Frohsinnstrasse. 1938 erfolgt der Entzug der Approbation, obwohl bereits 1937 schon die Praxisaufgabe erfolgte. Am 05.08.1942 wird das Ehepaar nach Theresienstadt deportiert. Den Kindern gelingt die Flucht in die USA. Julius stirbt 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt und seine Frau Paula (*1880) im Jahre 1944 in Ausschwitz.
Minna Wolf, Hermannstraße
Minna Wolf, geb. Grünebaum wird am 14.11.1890 in der Nähe Frankfurt in eine jüdische Familie geboren. Sie heiratet Gustav Wolf, der früh verstirbt. Während ihrer Schwangerschaft zieht sie zu ihrer in Augsburg lebenden Schwester Regina, wo sie im April 1922 ihr Tochter Auguste Anne zur Welt bringt. Minna Wolf betreibt in Augsburg ein Schuhgeschäft an der Adresse Metzgplatz/Sterngasse 1. Später zieht sie in die Ravenspurgerstr. 41 um, wo sie gemeinsam mit dem Fell- und Rauhwarengeschäft ihres Schwagers Josef Landmann den Schuhladen weiter betreibt. Allerdings muss sie das Schuhgeschäft schon „früh“ aufgeben, wie ihr Neffe aussagt. Die Tochter Anne Auguste kam 1939 mit einem Kindertransport nach England und von dort weiter in die USA in Sicherheit. Auch allen weiteren Angehörigen der Familie gelingt im Laufe des Jahres 1939 die Flucht in die USA. Minna Wolf erhält keine Ausreisegenehmigung und ist gezwungen in Augsburg zu bleiben. Zwischen November 1941 und März 1943 muss sie in der Augsburger Ballonfabrik Zwangsarbeit leisten. Im März 1943 wird Minna Wolf ins Konzentrationslager nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde. Vor ihrer Deportation übergibt Minna Wolf einen Koffer, mit den verbliebenen Habseligkeiten an das christliche Ehepaar Hans in der Ravenspurgerstraße. Sie bewahren den Koffer über den Krieg hinweg auf. Ende April 1945 kommt der Neffe Heinz Landmann als US-Soldat nach Augsburg und sucht seine Tante. Er konnte nur noch den Koffer in Empfang nehmen.
Synagoge Augsburg, Halderstraße 6-8
Die Synagoge ist ein herausragendes Baudenkmal des Jugendstils und zählt zu den schönsten Synagogen in Europa. In den Jahren 1914-1917 erbaut, wird sie durch die Zerstörungen in der Reichsprogromnacht und später durch alliierte Luftangriffe in Mitleidenschaft gezogen. Zwischen 1974 und 1985 wird sie wieder vollständig hergestellt und dient seit 1985 zudem als Sitz des Jüdischen Museums für Augsburg und Schwaben.
Karoline & Hugo Steinfeld, Bahnhofstraße 18 1/5
Hugo (*1864) und Karoline (*1869) betreiben den Tuchhandel der Firma Wimpfheimer. Später wird das gesamte Haus in ein sog. Judenhaus umgewandelt. Das Ehepaar sieht angesichts der Ausgrenzung und der antisemitischen Verfolgung keinen Ausweg und wählt 1941 gemeinsam die Flucht in den Freitod.
Verhörraum der Gestapo in der Prinzregentenstraße 11 und 11a (Keller)
Verbunden mit der Gestapozentrale (heute AOK) befindet sich im Keller der Verhörraum. Die Kellerräume sind noch im Originalzustand, aber leider nicht öffentlich zugänglich. Die ErinnerungsWerkstatt arbeitet daran, auch diesen grausamen Täterort (zumindest temporär) öffentlich zugänglich zu machen.
Clara, Martin & Erwin Cramer, Prinzregentenstraße 9
Clara (*1886) heiratet 1911 den Kaufmann Martin Cramer (*1880), der gemeinsam mit Bert Brecht die „Literarische Gesellschaft“ gründet. Von den drei Kindern können zwei (Ernst & Helene) in die USA fliehen. Zusammen mit dem dritten Kind Erwin werden die Eltern 1942 nach Piaski deportiert. Sie gelten als verschollen. Ihr Sohn Ernst Cramer kommt nach dem Krieg zurück nach Deutschland, wird ein bedeutender Journalist und erhält das Bundesverdienstkreuz. Er ist Ehrenbürger der Stadt Augsburg und stirbt im Jahr 2010.
Ort der Befreiung, Hoher Weg 1
In den frühen Morgenstunden des 28. April 1945 setzten amerikanische Soldaten der NS-Diktatur in Augsburg ein Ende. Sie marschierten von Oberhausen her zum „Riedingerbunker“ Am Hohen Weg (heute Stadtwerkehaus) – der Kommandozentrale der Nationalsozialisten und nehmen den Stadtkommandanten Franz Fehn und andere Anwesende fest. Die NS-Herrschaft ist beendet! Heute erinnert eine unscheinbare Tafel an die Befreiung der Stadt.
Auch diesen dritten Teil der Augsburger Wege der Erinnerung gestalteten Inge Kroll und Fritz Schwärzbäcker wieder in einer besonderen und sehr eindrucksvollen Weise. Zum Abschluss traf sich die Gruppe noch zum Meinungsaustausch im Thalia.
Weitere ausführliche Informationen unter:
www.erinnerungswerkstatt-augsburg.de
Quellenangaben zu Texten/Fotos: Broschüre Augsburger Wege der Erinnerung; Herausgeber ErinnerungsWerkstatt und Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung.
Fotos: Rudi Kleiber, Fritz Schwarzbäcker
Mehr über die „Augsburger Wege der Erinnerung“:
>>> Gespräch am Rande eines Augsburger Weges der Erinnerung zwischen Inge Kroll und Rudi Kleiber